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Statistik Rostgürtel:

Strecke: 1430 km
Tagesdurchschnitt: 68 km
Tage im Land: 21
Tage auf dem Rad: 16
Höhenmeter überwunden: 9300m
Tagesdurchschnitt: 580m
Nächte im Zelt: 11
Nächte in Häusern: 10
Pannen: keine
tägliche Ausgaben: 14,00€

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Einmal durch den Rostgürtel

Eines der ersten Dinge die mir nach dem Grenzübertritt, also nach dem runter Rollen von der Fähre auffielen war dass ich der einzige Radfahrer bin. Auch hier gibt es eine ausgeschilderte Radroute, nur keiner nutzt sie außer mir... Ich folgte dem St.Clair River flussaufwärts, nordwärts nach Port Huron und erreichte damit auch meinen dritten der großen Seen, den Huron See. Eigentlich wollte ich dem Ufer folgend nach Norden radeln, aber irgendwie war der See konstant außer Sichtweite... Blöd.
In Lexington wand ich mich dann nach Westen. Hier machte Ich mit dem amerikanischen Schachbrett Bekanntschaft. Die Straßen führen rechtwinklig durch die Landschaft. So durfte ich ganze 90km geradeaus radeln. Ganz schön eintönig. Irgendwann erreichte ich das Örtchen Millington, hier wohnt Juli mit Ihrem Mann Larry. Die beiden sind Bekannte von Sonja, die wiederum eine Freundin von Simone (bei der Ich gewohnt hatte) ist. So kommt man über viele Ecken zu lokalen Kontakten. Die letzten Kilometer fuhr ich dann in Ihrem und Kosmo auf Ihrem Truck mit, denn nach 153km war ich geschafft.
Es war Zeit für eine Pause und die bekam ich. Wir besuchten ein Cheeseburger Festival nördlich am Lake Huron und machten eine Spritztour nach Flint. Ansonsten war Ruhe angesagt. Schön!
Das Cheeseburger Festival war Amerika pur. Es ging eigentlich hauptsächlich nur ums Essen, die Vielfalt der Burger war fantastisch und lecker.

Der Ausflug nach Flint war wohl auch Amerika pur. Flint ist die ehemalige Autohauptstadt Amerikas, jedenfalls bevor General Motors Ihren Hauptsitz nach Detroit und später Ende der Achtziger die Werke und Ihre zehntausende von Arbeitsplätze ins Ausland verlagerte. Vergleichbar mit Wolfsburg, wenn VW beschließt zuzumachen. Davon hat sich die Stadt nie wieder erholt. Wer die Geschichte wissen will, sollte sich „Roger & Me“ von Michael Moore anschauen. Eindrücklich. Die Folgen für die Stadt sind weithin sichtbar, leerstehende Läden, ganze Straßenzüge abgerissen oder niedergebrannt. Als vor ein paar Jahren noch die sogenannte „Flint Wasser Krise“ dazu kam war das Mass voll. Aus Kostengründen beschloss die Stadt das Trinkwasser nicht mehr aus den grossen Seen sondern aus dem örtlichen Fluss zu beziehen. Nur die Aufbereitungsanlage konnte die von der Automobilindustrie eingespülten Stoffe nicht gänzlich herausfiltern. Diese griffen die uralten Wasserrohre an und vergifteten die Einwohner mit Blei. Wer im Dreck feststeckt hat es schwer herauszukommen… Larry verbot mir auszusteigen. Heftig.

Nach einigen Tagen hieß es weiterfahren. Nach Flint beschloss ich meinen Besuch in Detroit fallenzulassen und hielt mich ein wenig nördlich zum Ufer des Lake Michigan. Auf dem Weg dorthin radelte ich durch Saginaw, ein Städtchen das noch von Simon & Garfunkel in Ihrem Song „“ besungen wurde und Flint in nichts nachsteht. Hier steht nur noch jedes dritte Gebäude in der Stadtmitte, der Zerfall ist teilweise erst auf den zweiten Blick sichtbar und die Luft „riecht“ depressiv. Die Stunde in der Stadt schlug mir echt aufs Gemüt...

Danach geht’s aufwärts, denn an der Küste leben die Wohlhabenden und das Seeufer war mein Ziel. In Ludington radelte ich zu den Dünen, der Leuchtturm ließ ein wenig Nordsee Gefühle aufkommen. Ich folgte Nebenstraßen und ehemaligen Bahnstrecken nach Süden und erreichte Muskegon, die zweite Hafenstadt am See. Von dort und Ludington gehen Fährschiffe über den See, das war mir aber zu teuer, deshalb radelte ich weiter nach Süden. Starker Wind machte aus dem See ein richtiges Meer und erinnerte mich doch stark an den Pazifik.

Irgendwann kam ich nach Benton Harbor und die Stadt strahlte die gleiche Atmosphäre aus wie Saginaw. Ebenso hier fehlten etliche Gebäude im Stadtzentrum und fast jedes Geschäft war leerstehend. Ein paar dunkelhäutige Menschen schlurften schimpfend durch die Strassen. Klischee pur. Dass auf dem Hauptplatz noch ein Relikt des World Trade Centers präsentiert wurde (das erste das ich bisher gesehen habe) setzte dem ganzen nur das Häubchen auf. Whirlpool, der Hausgeräte-Hersteller hat hier seine Zentrale und so sind eigentlich nur die Gebäude der Firma in einigermaßen vorzeigbarem Zustand. Ich war bedient als ich die Brücke in die Nachbarstadt überquerte. Dort erwartete mich als erstes ein grosses Gefängnis das vom Hügel herab nach Benton Harbor schaute. Hier in St. Joseph ist die Kehrseite der amerikanischen Gesellschaft zuhause. Hauptsächlich Weiße wohnen im Strandörtchen, die Geschäfte boomen, die Menschen lachen und das alles nur ein paar KM Luftlinie vom Elend entfernt. Krass. Was ich so erlesen konnte ist beim wirtschaftlichen Niedergang jeder der es sich leisten konnte über die Brücke nach St.Joseph gezogen und der Rest bildet jetzt die Gemeinschaft der Abgehängten auf der anderen Seite des Flusses.

Das amerikanische System wonach Bildung und Sicherheit zum großen Teil von den Steuereinnahmen der Kommunen bezahlt werden ist bei einer solchen Talfahrt natürlich auch nicht hilfreich. Fehlende oder minderwertigere Bildung (aufgrund von Finanzschwäche der Gemeinde)führt zu weniger Chancen und zu mehr Kriminalität, die wiederum (durch fehlende Finanzmittel der Gemeinde) nicht effektiv bekämpft werden kann. Flint, Saginaw und Benton Harbor gehören zu den gefährlichsten Städten Amerikas. Flint hat sogar einen Preis gewonnen als lebensunwerteste Stadt der USA... Makaber.

Mein Weg ging weiter entlang des Seeufers, wo ich Gary, eine weitere abgehängte Stadt durchquerte bevor ich nach Chicago hinein radelte. Der Süden macht einen leicht heruntergekommenen Eindruck, was sicher auch an den abgebauten Stahlwerken und Industrieruinen liegt. Aber ach die Wohnviertel im Süden sind schon eher „bodenständig“. Irgendwann kam ich auf die Seepromenade und da blieb ich dann auch erst einmal, um mir die Sonnenfinsternis anzuschauen. Hier oben war sie leider nur 85%ig und es war auch noch bewölkt, aber trotz allem ein Ereignis. Vor allem den Leuten beim Hälse verrenken zuzuschauen war spannend.

In der Stadt blieb ich eine Nacht in der Wohnung von Sarah, die ich über Warmshowers kennengelernt hatte aber selbst nicht Zuhause war mir aber den Schlüssel rauslegte. Als ich ging am Morgen war sie noch nicht zurück. Immer wieder unglaublich wie hoch das Vertrauen der Menschen in Wildfremde ist.
Die nächsten Nächte blieb ich bei X im Norden der Stadt. Ich brauchte mal einen Tag Pause und mit einer eigenen Wohnung nur für mich war das ideal. Danke für die Gelegenheit zum Durchatmen!

Nördlich von Chicago liegt der Staat Wisconsin und Milwaukee. Die Stadt wurde zum großen Teil von Deutschen besiedelt. Man sieht es vor allem bei den Klassikern: Bier und Wurst. Die Brauereien heißen oder Großteils eher hießen: Papst, Schlitz, Miller und Schmidt, eine der lokalen Würste nennt sich Usinger. Herrlich. So gibt es hier auch Spaten-Bier vom Fass und die ein oder andere typisch deutsche Kneipe. Ich konnte bei xx unterschlüpfen die praktischerweise einen Bike-Laden betreiben. Die Gelegenheit war gut, ich zog einen neuen Reifen vorne drauf, ersetzte eine durch Zufall entdeckte kaputte Speiche und pflegte meinen besten Freund mal wieder ein wenig. Einen Abend verbrachten wir im Garten wo wir mit der farbigen Community einen Film schauten, den Zweiten ging es ins Theater, wo die „Angry Young Men“ anarchistisches Puppentheater aufführten. Teilweise konnte ich nicht wirklich folgen, da fehlte mir der politische und aktuelle Background... Aber megawitzig gemacht!

Danach ging es wieder weiter. Minneapolis war mein nächstes Ziel. Wisconsin ist das Land der Rail-to-Trails. Ehemalige Bahnstrecken wurden zu Radwegen umgewandelt. So folgte ich die ersten beiden Tage dem `Glacial-Drumlin`-Trail nach Madison, der Hauptstadt des Staates. Neben dem wunderschön auf einem Hügel zwischen zwei Seen gelegenen Stadtzentrum mit Kapitol ist es vor allem die Studentenszene die die Stadt ausmacht. Ich bin nur durchgeradelt, aber das was ich gesehen habe gefiel mir gut.
Hinter Madison muss man doch wirklich ein wenig auf Straßen radeln. Ich kam am ehemaligen „Badger Ammunition Plant“ vorbei. Hier wurde im zweiten Weltkrieg die damals größte Waffenfabrik der Welt aus dem Boden gestampft. Hunderte von Menschen wurden enteignet um die über 30QKM zu erhalten. Die Fabrik wurde bis zum Vietnamkrieg auf Standby gehalten. Dabei ruhte sie zwischen den Kriegen und wurde immer wieder aktiviert wenn Bedarf war. Vor 10 Jahren beschloss man sie abzuwickeln. Nun findet der Abriss, sowie die Entsorgung der giftigen Reste der Fabrik statt. Leider war das Museum als ich vorbei kam geschlossen.
Jetzt ging es wieder auf die Gleise, zuerst einen Tag lang auf dem `400`-Trail und danach zum Highlight dem `Elroy-Sparta`-Trail. In Bosnien war ich schon einmal auf einer stillgelegten Bahnlinie unterwegs gewesen und dieser Trail kam dem Nahe. Drei Tunnels, kohlrabenschwarz waren zu durchqueren. Feucht war es und ein wenig unheimlich... Richtiges Abenteuer!
Dahinter wurde es eher wieder langweilig. War das Wetter in den Hügeln Wisconsins schon eher herbstlich Ende August holte mich unten in der Ebene der Sommer wieder ein. Ich traf auf den Mississippi und folgte Ihm einige Tage.

Am ersten Tag gab es gleich ein Highlight, David schloss zu mir auf und zusammen radelten wir bis nach Trempleau. Dort lud er mich ins örtliche Hotel auf ein Bier ein. Der Besitzer wäre Deutscher meinte er. War er auch und Jörg freut sich genauso wie ich einen Landsmann zu sehen. Ich genoss das Bier aus dem drei wurden und die Atmosphäre in der Bar. Jörg hatte mir angeboten im Garten zu zelten. Später drückte er mir einen Schlüssel in die Hand und wünschte mir eine erholsame Nacht in einem richtigen Bett. Wow! Das war exakt was ich brauchte. Eine Dusche und dann eine richtige Matratze.
Am nächsten Morgen ging es weiter nach Westen, der Mississippi hat sich ein tiefes Tal gegraben, ein wenig wie das Mittlere Rheintal und die fehlende Vergletscherung der Region hat die Steilufer bestehen lassen. Der Fluss ist teilweise unglaublich breit und staut sich durch das Geröll das Nebenflüsse mitbringen zu Seen auf, wunderbar und wild...

Nach 2 weiteren Tagen erreichte ich dann St. Paul, die Hauptstadt von Minnesota. Zusammen mit Minneapolis bilden die beiden die TwinCities (Zwillingsstädte). In Minneapolis wohnt Joshua, Ihm war ich letztes Jahr in Portland in Oregon begegnet und er erwartete mich um mir mal wieder eine Pause zu ermöglichen. Schön alte Freunde wiederzusehen...
Ich blieb ein Paar Tage in der Stadt, schaute mir die Minnesota State Fair, die Landwirtschafts- und Gewerbeschau mit viel Rummel, an. Ansonsten entspannte ich mich und machte auch noch ein Rundtour durch die Stadt. Ich genoss es noch einmal durch die Hochhausschluchten zu tigern und den Leuten beim Alltag zuzuschauen. Denn Minneapolis ist die letzte größere Stadt vor der Westküste. Ab hier geht es in die Große Ebene, die Great Plains. North Dakota und Montana liegen vor mir und im Westen Montanas die Rocky Mountains. Doch bis dahin sind es fast 2000km fast ebene Strecke. Meine nächste große Herausforderung, aber das wird meine nächste Geschichte... Freut Euch drauf!

Die Durchquerung des ehemaligen Industriegürtels um die großen Seen war spannend und langweilig zugleich. Es war eindrücklich zu sehen wie hier das ehemalige wohlhabende Herz des Landes demontiert wurde. Hier traf ich auf viele Trump-Wähler und ich muss sagen nachdem ich das Land gesehen habe verstehe ich Ihren Frust. Was nicht heißt das ich alle Ihrer Argumente nachvollziehen kann. Vom Fahrvergnügen war es durchwachsen, viele Eisenbahnstrecken die wunderschön durchs grüne führten und damit an allem was interessant sein könnte vorbei. Die Straßen waren teilweise Autobahnen und man merkt außerhalb der Städte ziemlich das dieses Land für das Auto gebaut wurde. Innerhalb der Städte findet ein umdenken statt. Viele Radspuren, Radwege und auch hier alte Eisenbahnstrecken machen das Pendeln in Milwaukee zum Beispiel zum Vergnügen. Da vieles was ich durchquert habe urbane Gebiete waren gab es nicht all zu viel Wildnis zu bestaunen. In Wisconsin, das mich aufgrund seiner Landschaft sehr an Zuhause erinnerte ließ mich die Landschaft erahnen wie es wohl ganz früher zuhause ausgesehen haben mag bevor wir die Sümpfe trockengelegt haben und das Land durchgehend urbar gemacht haben. Generell gibt es hier einiges an Feuchtgebieten. das hat mir doch ziemlich die Abende verhagelt, denn die Mücken waren stark hier draußen. Jeden Abend hieß es hopp Zelt aufschlagen und schnell rein bevor man gefressen wird. So hab ich viele Sonnenuntergänge durch das Netzgewebe meines Zeltes bestaunt. Nur bedingt prickelnd...
Ich sehne mich nach der Einsamkeit des Westens, nach einer Auswahl an Zetplätzen ohne die Suche nach dem Schild das mir sagt „KEEP OUT!“ Hier ist eigentlich alles Privatgrundstück und das lässt mich oftmals bis spät in den Abend radeln um dann irgendwo reinzuschlüpfen...
Aber jetzt wird es lichter und hoffentlich bald wilder.
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